Predigt zum Karfreitag 2021

 
 
Karfreitag (Mt 27,33-54)
Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard."
Mit diesen Worten erzählt Theodor Fontane in seiner Ballade das Schicksal des Steuermanns John Maynard. Er hat während eines Brandes auf einem Passagierschiff seinen Posten gehalten und dadurch alle Passagiere sicher an Land bringen können. Er starb, während alle anderen gerettet wurden. Dafür danken ihm die Menschen mit einer ehrenvollen Bestattung und goldener Schrift auf seinem Grabstein.
 
Als ich den Passionsbericht im Matthäusevangelium gelesen habe, musste ich an „John Maynard“ denken.
Auch Jesus ist am Kreuz gestorben, um uns Menschen zu retten. Das hört man oft.
 
Aber als er am Kreuz hängt schreit er: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“.
Er wendet sich selbst jetzt, wo es so aussieht, als ob ihm nichts mehr Halt geben kann, in dieser tiefsten Not, in Schmerz und Verzweiflung, noch an Gott.
Die Bibel erzählt uns, dass Gott Jesus nicht verlassen hat. Alles wird finster, es kommt ein großes Erdbeben, der Vorhang im Tempel zerreißt. Das war anscheinend so eindrucksvoll, dass sogar der römische Hauptmann sagte: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“.
In diesen Stunden, auf Golgatha, ist alles anders. Es scheint ein Alptraum zu sein. Keiner von Jesu Begleitern hätte erwartet, dass er ans Kreuz geschlagen wird. Immerhin haben sie ihn für den Sohn Gottes gehalten. Dort wurde auf einmal vieles infrage gestellt, was bis dahin als selbstverständlich galt. Der Sohn Gottes, ein Mensch den Gott liebt – gekreuzigt? Niemals!
Als Jesus am Kreuz hängt, wird er noch verspottet: „Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben“, rufen die Menschen. Sie fordern Beweise. Aber so leicht macht Gott es ihnen nicht. Später dann hat er den Weg Jesu durch seine Zeichen und die Auferstehung bestätigt. Aber nach seinen Maßstäben und zu seinen Bedingungen, die für uns vielleicht unerklärlich bleiben.
Die Kreuzigung zeigt uns, dass Gott auch dort gefunden werden kann, wo man ihn nicht unbedingt erwartet hätte – direkt bei uns, in unserem Leben, wenn es uns gut geht, und wenn es uns nicht gut geht.
Ich glaube, dass jeder Mensch Kreuze in seinem Leben zu tragen hat. Die einen tragen eine größere Last, die anderen eine kleinere, manchmal sichtbar, manchmal unsichtbar. Aber ich glaube auch, dass alle Kreuze und damit unsere Not von Gott erkannt und mitgetragen werden. Dass er uns helfen will, sie zu tragen und auf ihn zu vertrauen. Dass er uns Halt geben möchte, wenn unser Alltag auf den Kopf gestellt wird, wenn alles, was uns selbstverständlich erschien, infrage gestellt wird.
Das gibt Hoffnung.
 
Für mich bedeutet Jesu Tod am Kreuz Erlösung, Rettung.
Gott hat sich uns in Jesus zugewandt und mit Jesus auch die schlimmsten Seiten eines menschlichen Lebens am eigenen Leib erfahren. Er ist mit Jesus und seiner Botschaft ganz nahe zu uns gekommen und hat uns gezeigt, dass wir uns immer an ihn wenden und auf ihn vertrauen dürfen, dass er auch in den schlimmsten Momenten da ist und uns Halt anbietet.
Trotzdem fühlt es sich manchmal ganz lange so an, als ob es keinen Halt gibt. Wir können nicht davonlaufen, wir müssen das aushalten, es geht nicht anders. Es geht immer nur irgendwie weiter.
Aber es geht weiter, wir bleiben nicht auf der Stelle stehen. Das kann auch ein gewisses Gefühl von Halt geben, uns tragen, wenn wir spüren, dass es irgendwie weitergeht. Dass selbst auf die dunkelste Nacht irgendwann ein heller Morgen folgen wird.
 
Ich glaube, dass der Karfreitag uns genau das vor Augen führen kann: In allen Momenten unseres Lebens – in schönen Zeiten, aber auch, wenn unsere Welt zusammenzubrechen scheint – bei allen Kreuzen, die wir vielleicht zu tragen haben, müssen wir das nicht alles alleine bewältigen, sondern können uns gehalten wissen. Gerettet, von Gott.
 
Und vielleicht können auch wir so sagen:
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
 
In dem beiliegenden Kreuz befindet sich ein kleiner Zettel. Wie wir am Karfreitag der Kreuzigung Jesu gedenken, kann es auch helfen, sich einmal den eigenen Momenten zu widmen, die man gerne vergessen möchte oder wo man vielleicht nicht so gehandelt hat, wie man es gerne gehabt hätte. Dazu lädt das Kreuz ein.