Predigt für den 1. November 2020

 
 
Reformationstag Rodheim, 1.11.2020
 
 
 
 
Reformationssonntag 1.11.2020 auf dem Marktplatz, der früher Kirchplatz hieß
 
Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
Der altböse Feind,
groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist
 
Waffen, grausam. List, Macht, Feind,
Das klingt eigentlich mehr nach Schlachtfeld als nach Gottesdienst und Kirche.
 
Als meine Schwester in den 70er Jahren meinen Eltern sagte, sie wolle zum Schüleraustausch nach Paris, bekam mein Vater einen Anfall: Du kannst doch nicht zum Erbfeind gehen!
Napoleon, 1870/71, 1914/18,
immer wieder ging es gegen Frankreich. Auf den Eisenbahnwaggongs hatten die Soldaten das Lutherlied draufgeschrieben.
Deutschland singt den ersten Vers:
Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen.
Frankreich singt den zweiten Vers: Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.
 
Und weiter geht´s:
„Und wenn die Welt voll Russen wär,
voll Serben und Franzosen.
So fürchetn wir uns nicht so sehr,
wir hau´n sie auf die Hosen.
Und wenn die Not noch größer ist,
so ist sie doch zu tragen,
Ein feste Burg ist unser Gott,
Drum lasst uns nicht verzagen.“
 
Und weil es ja auch die dunkle Seite des Kriegs gab, konnte Luther sogar dafür herhalten:
„Und mancher sank ins grüne Gras
Und starb den Tod des Helden.
Und als sein Weib die Brieflein las,
die ihr den Tod vermelden,
die Heldin begann:
nehmen sie den Mann,
töten sie den Sohn,
es winkt doch Gottes Lohn:
das Reich muss uns doch bleiben.“
 
Die letzte Zeile war auch der Aufruf eines Evangelischen Oberkirchenrates zum verlorenen Krieg im November 1918.
 
Religion, Nationalismus und Krieg gingen eine unheilvolle Verbindung ein, die auch das Dritte Reich massiv bediente.
Als Martin Luther damals vor 500 Jahren dichtete, war die Wartburg für ihn ein echter Schutz, er war dort sicher, niemand konnte ihn abschießen, er machte sich ja auch bald nützlich und übersetzte das Neue Testament ins Deutsche, er schrieb Bücher, die sein Kollege Philipp Melanchthon in den Druckereien in Auftrag gab.
Aber wir brauchen keine Burgen und Mauern mehr, hinter denen wir uns verstecken müssten.
Martin Luther hatte Angst.
Vor dem zornigen Gott, Vor dem Teufel, immer wieder hatte er Angst
Es war kein Zufall, dass Luther gerade in dem Moment in die Öffentlichkeit trat, als die Leute ein Geschäft mit der Angst machten und „Gutscheine fürs Paradies“ verkauften. Die Menschen brauchten niemand, der für sie bei Gott ein gutes Wort einlegt, Gottes Gnade ist für alle da, die seinem Wort vertrauen
Bibelstelle? Konfis: Römerbrief 3, Vers 21
 
So, und jetzt schauen wir uns mal unsere Kirchentür an, so gut es geht:
In diese Tür ist nie ein Nagel reingehauen worden. Und ich sage: in Wittenberg damals auch nicht. Das wirft unsere religiöse Kinderstube um, als wir noch lernten, dass Luther „höchstpersönlich mit markigen Hammerschlägen“ an der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablass angeschlagen habe.
Im Kriegsjahr 1917 hieß es zu den „Hammerschlägen“: „Licht, Sonne, ein neuer Frühling war dem deutschen Volk aufgegangen. Gott hat unsere Wiedergeburt, die Reformation der deutschen Kirche und des deutschen Glaubens geschenkt.
 
1540 schrieb Luther selbst: Ich begann, dem Volk abzuraten von den Ablässen und diskutierte zu Hause mit mir selbst, befragte die Bücher, konsultierte die Rechtsgelehrten, aber ich sah nichts Vernünftiges in den Ablässen. Deshalb verfasste ich die 95 Thesen.
Kein Wort über den Hammer und die Kirchentür, obwohl Luther demonstrative Auftritte liebte und gern darüber sprach.
Die Sache mit dem Thesenanschlag kommt erstmals 1544 von einem seiner Sekretäre. Da war Luther bereits tot.
Der Sekretär war 1517 aber nicht in Wittenberg. Melanchton behauptete behauptete das gleiche:  Diese Thesen schlug Luther öffentlich an die Schlosskirche von Wittenberg. Melanchthon kam aber erst 1518 nach Wittenberg.
Die Legende von den Hammerschlägen wuchs.
Erst 1969 behauptete ein Kirchengeschichtler, mit fundierter Begründung: Der Thesenanschlag fand nicht statt. Der Mönch Martin Luther hatte unter Einhaltung des Dienstwegs seine Thesen an den Erzbischof Albrecht von Mainz geschickt.
Der hatte ihm aber nie geantwortet.
Dann ging Luther an die Öffentlichkeit. Und das unabsichtlich.
Es gibt keine historischen echten Quellen für den Hammer und die 95 Thesen und die Kirchentür.
So wurde das altvertraute Bild vom hammerschwingenden Reformator
zerstört.
Hammerschläge, die es nie gab, hallen bis heute noch.
 
Und – Der Kirchengeschichtler, der das herausfand, war ein Katholik.
 
Aus Luthers Kritik am Ablass, den Gutscheinen fürs Paradies, wurde eine Spaltung im Christentum, die bis heute wehtut. Beide Parteien haben das ihre dazu beigetragen.
 
Versagt hat 1517 die katholische Kirche.
 
Weil die Kirchenoberen auf seinen Protest gegen den Ablassmissbrauch nicht reagiert haben, fühlt sich Luther aus seiner Kirche, der er bisher treu gedient hatte, verdrängt, ausgegrenzt.
 
Sich gegen ein Geschäft wehren, das an der Angst der anderen verdient, das hat Folgen.
Sich gegen ein Geschäft wehren, das an der Armut der anderen verdient, das hat Folgen.
Sich gegen ein Geschäft wehren, das daran reich wird, weil viele deswegen zum Mitmachen oder zum Schweigen verurteil sind,
das hat Folgen.
Was uns heute religiös unterscheidet und dabei so groß und wichtig erscheint, ist mit den Worten von Reinhard Mey:
Plötzlich nichtig und klein.
 
 
 
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus, amen
 
Wittenberg, Februar 1522.
Bei Nacht und Nebel kehrte Martin Luther von der Wartburg nach Wittenberg zurück. Auf die Wartburg kam er ja nach seinem Auftritt auf dem Reichstag in Worms. Da hatte er im letzten April keine einzige seiner berühmten 95 Thesen widerrufen, er hatte überhaupt nicht nachgegeben.
Deswegen war er ja zum Abschuss freigegeben.
Jeder durfte ihn umbringen, und niemand wäre deswegen bestraft worden. So konnte er, gut behütet, fast ein Jahr auf der Wartburg bleiben und das Neue Testament ins Deutsche übersetzen.
Philipp Melanchthon, sein Freund, hielt ihn auf dem laufenden, was draußen alles passierte. Und was Phillipp dem Luther berichtete, machte dem Luther große Sorgen:
 
Luthers Fäns holten alle Bilder und Altäre aus den Kirchen, sie zerstörten die Altäre und verbrannten die Bilder und die Figuren der Heiligen. Sie zerrten die Priester aus den Kirchen und prügelten sie windelweich. Sie zogen die Nonnen an den Haaren aus den Klöstern und lösten die Klöster gewaltsam auf.
Das war die Folge von Luthers reformatorischer Entdeckung:
 
Eigentlich entdeckte Luther etwas ganz anderes:
Gottes Gerechtigkeit zeigt sich darin, dass der gerechte Mensch aus dem Vertrauen an Gott lebt. Also aus dem Glauben heraus lebt der gerechte Mensch,
nicht durch irgendwelche heldenreiche Taten.
 
„Als mir das klar wurde“, sagte Luther, „kam ich mir so vor,
als wäre ich gerade durch eine offene Tür ins Paradies hineingekommen.“
 
Aber was da in Wittenberg passierte, sah überhaupt nicht nach Paradies aus:
 
Luthers neue Ideen von einem Gott, der zu allen Menschen gnädig ist, hatte sich in gewaltsamen Fanatismus umgeschlagen.
 
Um etwas gegen diesen Fanatismus zu tun, schrieb Luther für die nächsten Sonntag Predigten für die Wittenberger Bürger:
 
Stellt euch vor: Gott ist wie ein glühender Backofen voller Liebe!
Und dieser Backofen reicht von der Erde bis in den Himmel!
Die ganze neue Botschaft von Jesus Christus fließt in ein Meer von Liebe und Geduld.
 
Das war Luthers Ansatz, um dem Fanatismus etwas dagegen zu halten.
 
„Also, liebe Freunde, es ist klar genug gesagt. Ich meine, ihr solltet es verstanden haben und kein Gebot aus der Freiheit machen. Lasst das Wort Gottes selber wirken. Predigen will ich´s, sagen will ich´s, schreiben will ich´s.
Aber zwingen,
mit Gewalt dringen, will ich niemand,
denn der Glaube will willig,
ungenötigt angenommen werden.
Denn ich kann keinen in den Himmel treiben
oder mit Knüppeln hineinprügeln.
 
Luther hatte es schon gut gemeint,
 
aber an einem Backofen kann man sich ganz schön verbrennen –
und in ihm -
 
können Menschen,
 
Religionen
 
und ganze Welten
verbrannt werden.
 
Luthers Fäns waren voll auf Krawall gebürstet,
und Luther war sooo enttäuscht
weil die Juden nicht nachvollziehen konnten, dass Jesus auch für sie
sein Leben voll gegeben hatte,
 
und dann  zeigte sich  der Backofen der Liebe
auf einmal von seiner
tödlichen Seite.
 
Da bleibt nichts mehr von einem Gott, der –
lieb ist,
oder der einen frei macht von dem, was einem Angst macht.
Hör zu, du Volk Israel.
 
…5. Mose 6, 4 – 9
 
vor ungefähr 500 Jahren machte Luther klar,
 
wie man Gott
 
richtig , ehrlich
verstehen
und einschätzen kann.
 
Und zwei/dreitausend Jahre vorher?
 
Merk dir´s!
Wenn du aufstehts,
wenn du dich hinlegst,
und bevor du einschläfst.
 
Du musst ihn einfach gern haben, mögen, annehmen,
und du sollst es sogar.
Also ein Befehl.
 
„Liebe deinen Gott!
 
Ich kann doch nicht auf Befehl jemanden lieben!
 
Nee.
 
Das geht gar nicht.
 
Aber wir können ja einmal richtig bei der Sache sein und nicht nur halb.
Aus vollem Herzen, mit dem ganzen Herz,
aus voller Kehle
und mit unserer ganzen Kraft.
 
Aus vollem Herzen, mit dem ganzen Herz:
also dass wir es wirklich wollen.
 
aus voller Kehle:
Durch unsere Kehle geht alles:
Der Braten und die Knödel, die Limo und der Apfelwein,
unsere Stimme,
die Nervenbahnen in den Halswirbeln, die Hauptschlagader, die Luftröhre und die Speiseröhre.
An unserer Stimme erkennt man, wie wir drauf sind.
Wir können jodeln, oder schreien,
brüllen oder flüstern, singen
durch die Kehle kommen wir nach außen.
 
und mit unserer ganzen Kraft.
also mit dem, was du hast,
was du zur Verfügung hast:
Dein Geld, deine Geduld, deine Beziehungen, dein Einfluß
 
„Und damit du das nicht gleich wieder vergisst,“
 sagte Gott damals,
„gebe ich dir eine Erinnerungshilfe mit auf deinen Weg:
 
Riemen und Kästchen herausholen
 
 
„und hier, das ist für den Türpfosten von deinem Haus.“
 
dass du es ohn Unterlass für Augen und in stetem Gedächtnis hast, so schrieb es Martin Luther im Großen Katechismus
 
Aber wir wissen ja, dass dieser Befehl nur eine Folge ist.
 
 
Zuerst gilt: Du bist vor Gott in Ordnung.
 
Und gerade deswegen kannst du
 
Aus vollem Herzen,
aus voller Kehle
und mit unserer ganzen Kraft.
 
und deinem ganzen Leben auf den ausgerichtet sein, der dich dafür freigemacht hat.
 
Wenn jüdische Menschen sich dessen erinnern,
fallen sie auf.
Es kommt schon vor, dass jüdische Familien das Schriftröllchen nicht mehr außen, sondern an der Innenseite ihrer Tür befestigen, das ist eine Folge von Angriffen.
 
Ausgerechnet am 31. Oktober,
und das zum ersten Mal:
saßen die katholischen Kinder der 4. Klasse bei mir in Reli. Ihre Lehrerin war krank,
und sie hatten keine Lust mehr auf ihre Arbeitsblätter.
Wir redeten wegen Halloween gerade über Heilige. Weil in dem Wort Halloween steckt ja das Englische „Hellow“ drin:
 
Vater Unser im Himmel, hallowed will be your name.
 
Ich versuchte ihnen zu erklären, dass ein Heiliger jemand ist, der mir seiner Meinung und mit seinem Glauben nicht einknickt.
 
Die Kinder hörten unglaublich gut zu -
und ich dachte mir:
Es ist doch viel wichtiger, sich auszutauschen, wie die Menschen mit ihren Religionen friedlich nebeneinander und miteinander leben, wie es in Lybien oder Jordanien geschah oder geschieht. Da hat am Freitag der muslimische Obsthändler zu, am Samstag der jüdische und am Sonntag der christliche.
Keiner hat Probleme, weil sein Geschäft am Feiertag zu ist und zu bleibt!
 
Manchmal muss der Mensch in der Masse aufgehen können. Das tun die Katholiken heute auch nicht mehr so wie früher im Gottesdienst, denn die Kirchen werden auch bei den Katholiken leerer,
aber wenn in den Fußballstadien zum Weihnachtslieder Singen eingeladen wird, kommen alle:
Katholiken, Evangelische, Ausgetretene und anders Gläubige.
 
Denn die Masse
 
ergreift einen.
 
Fängesänge in der Arena sind Liturgie pur.
 
 
Luther brachte etwas Neues:
Mit seiner reformatorischen Erfindung wurde zum ersten Mal in der Weltgeschichte
der einzelne Mensch beachtet:
Es geht um dich, es geht um deinen Glauben,
es geht um deine Freiheit, die dir Gott durch Jesus Christus geschenkt hat!
 
Und du, lieber Mensch,
geht’s vor dem lieben Gott
 
 nicht
 
in einer anonymen Masse von heillosen Sündern auf.
 
In unseren Religionen sind viele Schätze
 
verborgen.
 
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, amen.